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Samstag, 2. Oktober 2010

Verschwinden

Als ihre Lippen sich nach einer schier endlosen Minute wieder trennten, blickte Vanessa tief in seine Augen und fragte: „Warum hast du damit nur so lange gewartet?“
„Ist das jetzt wirklich noch wichtig?“, entgegnete er, während er eine der blonden Haarsträhnen aus ihrem Gesicht strich. Dann umarmte er sie, um sie erneut zu küssen. In diesem Moment war er sich sicher, dass es im Himmel nicht schöner sein konnte.
„Herr Schneider!“, drang eine ungehalten klingende Stimme in die Tiefen seines Bewusstseins. Max öffnete die Augen. Die meisten seiner Kommilitonen sahen ihn an.
„Mir ist es zwar bewusst, dass meine Stimme eine beruhigende Wirkung haben kann. Trotzdem erwarte ich von ihnen, dass sie im Hörsaal meiner Vorlesung folgen, und das Schlafen zuhause erledigen!“
Max wurde rot. Was gab es schlimmeres, als vor mehr als hundert Mitstudenten vom Professor zurechtgewiesen zu werden.
„Natürlich, Herr Professor. Mein Fehler.“, nuschelte er, während noch ein Lachen durch den Hörsaal wanderte. Am liebsten wäre er im Boden versunken.
Besonders laut war das Lachen der Gruppe schräg vor ihm. Dort saß Vanessa mit ihren Freundinnen. Max vermied es, zu ihnen zu blicken, verstand aber einiges von dem, was sie sagten. Zu viel davon.
„Was für ein Opfer!“, meinte eine von ihnen. Dann – wieder Lachen.
Max' Magen füllte sich plötzlich mit Steinen. Zumindest fühlte es sich so an.
Er wollte nur noch weg, weg von allem. Zurück in seine Wohnung, und sich dann im Bett verkriechen, sich eingraben und am besten nie wieder herauskommen. Die Augen zumachen und lassen.
Weg von der Uni, weg von den Kommilitonen, vor allen Dingen weit weg von Vanessa, der Frau, die er liebte, die ihn in seinen Träumen verfolgte. Für die er gar nicht existierte.
Und wenn er doch gar nicht existierte – vielleicht war Verschwinden dann gar nicht so schwer.


Samstag, 23. Mai 2009

Neue Kurzgeschichte...

...ist auf meinem gemeinsamen Blog mit Frl. Meyer erschienen. Der Link führt euch direkt zum Geschichtchen.

Cappuccino speciale

Dienstag, 21. April 2009

Die Abstellkammer

Heute mal wieder eine Kurzgeschichte, wie immer auf eigene Gefahr!

Die Abstellkammer

Mit geübter Hand strich Peter den Mörtel auf den Ziegeln glatt. Die Hälfte hatte er nun geschafft, es war Zeit für eine Zigarettenpause.
Werkzeuge und Ziegel waren über den Boden verteilt, und an den Wänden standen stabile Holzregale, die mit Konserven, Einmachgläsern und Wein gefüllt waren. Eine Tiefkühltruhe stand in der Ecke, daneben ein Sack mit Kartoffeln, die ihn ans Abendessen erinnerten.
Bis dahin würde er längst fertig sein, es war erst kurz vor Mittag. Die Arbeit ging schnell vonstatten, er hatte nichts anderes erwartet. Schließlich hatte er das ganze Haus mit eigenen Händen gebaut. Er hatte einfach ein Talent für handwerkliche Dinge, das war allgemein bekannt.
Auch die Nachbarn fragten erst ihn, bevor sie einen Handwerker riefen. Meist konnte er den Schaden selbst beheben, und zum Dank bekam er dann häufig einen Kuchen oder wurde zum Essen eingeladen. Den Kösters am Ende der Straße hatte er sogar geholfen, eine Garage zu bauen. Es hatte sich sogar so etwas wie eine Freundschaft mit ihnen entwickelt, wobei Freundschaft ein großes Wort war. Eigentlich war es mehr eine Bekanntschaft.
Er verstand sich gut mit Michael, und trank manchmal abends ein Bier mit ihm. Auch Andrea war eine recht nette Frau, wenn er auch nicht verstand, was Michael dazu gebracht hatte, sie zu heiraten. Am Aussehen konnte es jedenfalls nicht gelegen haben. Und ihre Kinder waren, nun ja, wie Kinder eben waren.
Wenn er sich beeilte, sollte er in einer Stunde fertig sein. Vielleicht würde er nach dem Essen noch auf ein Bier bei Michael vorbei gehen. Schaden konnte es zumindest nicht. Doch zuerst wartete noch Arbeit auf ihn.
Er nahm den Spachtel wieder in die Hand. Es war erstaunlich. Die neue Wand würde sich in den Raum einfügen, als wäre sie schon immer da gewesen. Man konnte schon jetzt kaum einen Unterschied sehen. So sollte es sein.
Er setzte einen weiteren Stein. Es würde perfekt sein.
Und nächstes Wochenende dann grillen bei Kösters. Aber diesmal etwas ruhiger als beim letzten mal. Peter hatte nichts gegen Kinder. Aber Patrizia, die fünfzehnjährige Tochter der Kösters, war mitten in der Pubertät, und einfach unerträglich. Christoph war erst acht, und nervte ihn häufig, wenn er nachmittags draußen im Garten arbeitete, oder etwas bei den Kösters reparierte. Abends war er allerdings immer müde und dementsprechend ruhig, also sollte der Freitag wirklich entspannt werden.
Vielleicht würde er Steaks marinieren und als Gastgeschenk mitbringen.
Die Wand näherte sich ihrer Fertigstellung. In wenigen Tagen würde niemand mehr erkennen können, wie der Raum vorher ausgesehen hatte. Die Abstellkammer hatte sowieso keinen Sinn gehabt.
Sie hatte ihn einen hässlichen alten Mann genannt. Wie sie mit ihren Eltern redete, war ihm egal, aber er musste sich nicht alles gefallen lassen.
Er fügte den letzten Stein ein.
Sie hatte gesagt, er sei wohl schon seit zwanzig Jahren von keiner Frau mehr angefasst worden. Oder... hatte sie? Auf jeden Fall hatte sie es provoziert!
Jetzt noch das Werkzeug zurück in die Regale, den Mörtel später in die Garage. Dann noch durchfegen, und der Keller würde so aussehen wie vorher.
Es war noch schneller gegangen, als er gedacht hatte.
Er hoffte, die Kösters würden das Grillen am Wochenende nicht absagen. Auf ein Bier würde Michael später sicher noch Lust haben, oder vielleicht eher auf einen Schnaps.
Kinder waren in dem Alter nun einmal so, das sagte er selbst immer. Und damit würde Andreas Sorge überspielt werden. Zumindest fürs erste. Und das reichte ja.



Montag, 6. April 2009

Eine Kurzgeschichte

Asche zu Asche

Er saß auf dem Sessel und rauchte. Auf dem Tisch lag ein zerlesener Roman. Ein Aschenbecher, der von einigem Nikotinkonsum zeugte, stand neben einer halbleeren Flasche Rotwein und einer Schachtel Zigaretten. „Raucher sterben früher“, verriet sie. Dazu ein Glas, das darauf wartete, erneut mit Wein gefüllt zu werden.
Und ein ungeöffneter Brief.
Nachdem er seine Zigarette im Kippenberg des Aschenbechers beerdigt hatte, füllte er das Glas mit Wein. Das Radio spielte The Smiths, „What difference does it make?“, fragte Morrissey.
Er fragte sich das auch.
Er nahm den Briefumschlag in die Hand, betrachtete ihn, drehte ihn, betastete ihn. Sein Name stand auf der Vorderseite, und seine Adresse. Dazu eine Briefmarke, Blumen als Motiv, Vergissmeinnicht. Auf der Rückseite stand nur ein Name, ihr Name.
Er legte den Umschlag beiseite und nahm eine weiter Zigarette, nahm einen Schluck vom Wein, betrachtete die Bilder an den Wänden. „Und jetzt?“, schienen sie zu fragen. Er schüttelte leicht den Kopf, inhalierte nikotinschwangeren Rauch, atmete ihn aus, verfolgte den Weg des Rauchs in der abgestandenen Luft.
Seit letztem Sommer hatte er nichts von ihr gehört, acht lange Monate, seit sie einfach gegangen war, seit sie mit ihrem Koffer in der Tür gestanden hatte, „Es geht nicht mehr“, hatte sie gesagt. Dann war sie in ein Taxi gestiegen und verschwunden.
Er nahm eine neue Schachtel Zigaretten vom Schrank. Im Radio höhnten die Beatles: „She loves you!“
Er ignorierte sie.
Früher hatten sie häufig gemeinsam bei einem Glas Wein Musik gehört und von der Zukunft geträumt, von Kindern, Heirat, Haus, von Sonntagsausflügen, von Urlaub in Italien, am Meer, oder in den Bergen.
Doch da kam kein Urlaub, kein Haus, keine Kinder. Da kam keine Hochzeit. Was kam, war seine Kündigung. Und später kam ihr Taxi.
Er entkorkte eine weitere Flasche Wein und schenkte sich ein.
Der Brief lag noch immer provozierend vor ihm. Wieso schrieb sie ihm? Nachdem er die Erinnerung so erfolgreich in den burgunden Untiefen ungezählter Rotweinflaschen versenkt hatte, nachdem sie weißglühend verbrannt war wie der Tabak seiner Zigaretten. Nun stieg sie wieder auf wie ein Geist aus der Flasche, erhob sich wie ein Phönix aus der Asche.
Er zog an seiner Zigarette, beobachtete den Schatten des Rauchs bei seinem Tanz auf dem weißen Papier des Umschlags. Dann nahm er den Umschlag in die Hand, hielt das glühende Ende der Zigarette an eine Ecke des Briefes, bettete ihn auf dem Aschenbecher und verfolgte, wie das Papier von der Ecke aus durchglühte.
Noch einige Sekunden behielt der Umschlag seine Form, er konnte noch ihre Schrift lesen, seinen Namen, dunkelgrau auf hellgrau, bevor er zerfiel und eins wurde mit den Resten seiner Zigaretten. Asche zu Asche, so sollte es wohl sein.
Im Radio sang Johnny Cash „Hurt“.